Newsletter 02/24: Das Damoklesschwert der Abschiebung

Dresden, 28.02.2024

Liebe Newsletter-Abonnent*innen,

seit vier Jahren ist der Februar ein Monat des Gedenkens. Ferhat, Gökhan, Hamza, Said Nesar, Mercedes, Sedat, Kalojan, Vili und Fatih wurden am 19. Februar 2020 durch einen rassistischen Anschlag in Hanau von uns genommen. Die Angehörigen und Überlebenden fordern seitdem eine lückenlose Aufklärung der Tat und eine konsequente Auseinandersetzung mit Rassismus. Doch was wir heute erleben, ist eine Ausbreitung rassistischer Positionen und eine Normalisierung der Gewalt gegen die “Verdammten dieser Erde”. Menschen, die von Rassismus betroffen sind, leben unter immer trüberen Vorzeichen. Diese Realität erschüttert viele Menschen in ihrem Innersten – in ihrer Hoffnung. Insbesondere Menschen mit muslimischem oder nahöstlichem Hintergrund sowie Schwarze Menschen berichten von zunehmenden rassistischen Vorfällen und existenziellen Ängsten. Wie auch von Soziolog*innen festgestellt wird, planen viele Menschen mit muslimischem Hintergrund bereits ihre Ausreise. Die Frage schwingt über unseren Köpfen: Wohin fliehen, wenn es in Deutschland nicht mehr geht?

Debatten rund um die Bezahlkarte

Vertreibung war das Ziel der aufgedeckten Pläne im Sinne von “Remigration”.

Was ist aber mit den Debatten um die Vertreibung derer, die noch nicht einmal hier leben?

Stichwort: Bezahlkarte.

Anfang Februar erreichte uns die Nachricht, dass die seit langem diskutierte Bezahlkarte für Asylbewerber*innen nun Wirklichkeit wird. Die Bundesländer haben sich darauf geeinigt und Sachsen hat sich gleich dem Vorreiter Bayern angeschlossen, wo die Karte noch regressiver sein soll als anderswo. Dabei hätten wir noch eine Verbesserung erwartet: Eine humane Lösung, die den bürokratischen Aufwand verringert, wäre gewesen, den Asylbewerber*innen so schnell wie möglich die Eröffnung eines normalen Kontos zu ermöglichen.

Hinter der Einführung der Bezahlkarte steht eine Debatte mit erschreckend menschenverachtenden Argumenten, die offen die Einschränkung von Grundrechten wie dem Selbstbestimmungsrecht fordern. So soll Deutschland für Geflüchtete möglichst unattraktiv gemacht werden. Namhafte Politiker*innen haben keine Scheu zu sagen, dass Asylbewerber*innen einen Teil ihrer geringen Asylbewerberleistungen an ihre Angehörigen in den Heimatländern überweisen würden.

Wenn das Geld an die Konzerne geht

Dabei haben wir in den letzten Wochen immer wieder darauf hingewiesen, wie mit dem Leid von Menschen ein Riesengeschäft gemacht wird. Die Übernahme der European Homecare GmbH, die auch in Sachsen zahlreiche Asylunterkünfte betreibt, durch die Serco-Group, einen multinationalen Großkonzern, hat dies noch einmal in aller Deutlichkeit gezeigt. Nur ein Teil des Geldes, das diese Konzerne vom Staat erhalten, kommt bei den Adressat*innen (also den Asylsuchenden) an, und dann fließen diese Steuergelder auch noch ins Ausland: Die Serco-Group hat ihren Hauptsitz in Großbritannien. Hier ist von Summen die Rede, die nicht mal alle Asylbewerber*innen zusammen ins Ausland überweisen könnten.

Abschiebung als Damoklesschwert

Nicht zuletzt durch die Unternehmen, die nun auch in Sachsen die Asylunterkünfte übernommen haben und weltweit am Kriegsgeschäft beteiligt sind, sehen Millionen Menschen weiterhin den einzigen Weg zu einem menschenwürdigen Leben in der Flucht. Wie mit ihnen an den Außengrenzen umgegangen wird, mussten wir erst kürzlich wieder mit ansehen: Bis auf die Unterwäsche entkleidete Geflüchtete werden in einer kalten Nacht zu Fuß zurückgedrängt. Wenn sie es trotz aller DemütigungenFolter und Lebensgefahr bis in den Freistaat Sachsen schaffen, werden sie derzeit in Containern untergebracht, in denen es am Nötigsten fehlt – von Privatsphäre ganz zu schweigen. In vielen Fällen gibt es keinen Zugang zu Deutschkursen, auch nicht für schulpflichtige Kinder. Im Grunde werden sie mit ihrem (Über-)Leben und der Last der beschwerlichen Flucht allein gelassen. Die Abschiebung schwebt als Damoklesschwert über ihnen – immer härter, immer deutlicher. Das sogenannte Rückführungsverbesserungsgesetz (wir nennen es ‚Abschiebungsverschlimmerungsgesetz‘) wurde bereits im Bundesgesetzblatt verkündet und ist am letzten Dienstag in Kraft getreten.

Refugee-Fest: Um uns zu verteidigen

Unter diesen Umständen gewinnt nicht nur die Verteidigung der Rechte der Geflüchteten an Bedeutung, sondern auch die ihrer psychischen Gesundheit sowie ihrer Diskurs- und Handlungsfähigkeit. Das Refugee-Festival im Sommer in Dresden werden wir in diesem Sinne weiter organisieren. Eine Gruppe von Geflüchteten vieler Muttersprachen hat sich bereits zusammengefunden und wir werden uns in Kürze mit konkreten Informationen an die Öffentlichkeit wenden. Außerdem werden wir in der nächsten Ausgabe unseres Magazins „Querfeld das Thema „Selbstorganisation von Geflüchteten“ behandeln und freuen uns auf eure Beiträge. (Dazu haben wir einen Aufruf in neun Sprachen veröffentlicht.) Denn, wie Hannah Arendt zu ihrer Zeit und Situation formulierte: “Wenn man als Geflüchtete*r angegriffen wird, muss man sich als Geflüchtete*r verteidigen.”

Nachfolgend einige Berichte und Veranstaltungshinweise von uns!

Wie immer findest Du unseren Newsletter auch auf unserer Homepage oder auf unseren Kanälen in den sozialen Netzwerken. Wenn Du der Meinung bist, dass noch mehr Menschen davon erfahren sollten, freuen wir uns, wenn Du ihn teilst! Es wäre auch eine Idee, den Newsletter auszudrucken, zusammenzubinden und auf den Tisch am Arbeitsplatz, in der WG oder in der Schule zu legen. Vielen Dank! 

Bis zum nächsten Mal!

Liebe Grüße
Öffentlichkeitsarbeit des Sächsischen Flüchtlingsrates


Berichte aus dem Verein

Werde Patin/Pate!

Möchten Sie Menschen aus anderen Kulturen kennenlernen? Können Sie sich vorstellen, eine Person oder Familie regelmäßig zu besuchen, ihnen die Stadt zu zeigen und/oder gemeinsam Deutsch zu lernen? Werden Sie aktiv!

Warum Patin oder Pate werden?
Als Patin oder Pate begleiten Sie geflüchtete Menschen (Einzelpersonen oder Familien). Sie können ihnen dabei helfen, sich in einer neuen Umgebung und Kultur zurechtzufinden, anzukommen und sich wohl und willkommen zu fühlen.

Was tun Sie als Pate/Patin?
Auf welche Weise, wie intensiv und wie lange eine Patenschaft ausgeführt wird, entscheiden die Ehrenamtlichen und von ihnen Begleiteten beidseitig. Die konkrete Unterstützung wird individuell vereinbart. Diese kann beinhalten:
●    Alltagsprobleme gemeinsam lösen
●    gemeinsam Deutsch lernen und üben
●    gemeinsam die Stadt erkunden und Freizeit gestalten
●    Begleitung zu Beratungsstellen
●    Unterstützung bei der Wohnungs- oder Arbeitssuche

Save Me Chemnitz unterstützt Sie als Patin oder Pate:
●    Beratung und Begleitung durch die Projektkoordinatorin
●    Austausch bei Patenschaftstreffen
●    Weiterbildungsmöglichkeiten zum Thema Flucht und Asyl
●    Ehrenamtsvertrag mit Versicherungsschutz
●    Auf Wunsch Ehrenamtsnachweis

Weitere Informationen unter: https://save-me-chemnitz.de/patinpate-werden/

Am 18.01. hatten wir unser erstes Treffen in diesem Jahr in Chemnitz, bei dem sich die Ehrenamtlichen und auch einige von Ihnen begleitete Personen kennenlernen konnten.


Abschiebebescheid: Ein Bruder bleibt, der andere ist dran

Ahmed Qaro, einer der Teilnehmer unseres Patenschaftsprojektes “Save Me Chemnitz”, sollte abgeschoben werden, doch nach einem Bericht der Tagesschau mit seinen O-Tönen wurde die Abschiebung ausgesetzt. Er arbeitet weiter als Pflegehelfer. Seinem Bruder Gasan, der seit September 2023 ebenfalls als Pflegehelfer arbeitet, droht nun die Abschiebung. Wir werden den Fall weiter verfolgen.


Abschiebestopp nach Venezuela

In einem offenen Brief fordern 15 in Deutschland tätige Organisationen venezolanischer Flüchtlinge und 650 Einzelpersonen einen sofortigen Abschiebestopp nach Venezuela. Wir haben den Brief in einer Pressemitteilung aufgegriffen: “Da Sachsen Hauptaufnahmeland venezolanischer Geflüchteter ist und Ministerpräsident Kretschmer bereits deren Arbeitsmarktintegration feierte, besitzt der Freistaat eine besondere Verantwortung diesen inhumanen Abschiebungen schnellstmöglich einen Riegel vorzuschieben.”

Außerdem hat unser Kollege Sebastian Lupke mit einem Beitrag auf die Situation in Venezuela und der Flüchtlinge aus Venezuela aufmerksam gemacht: “Während die Zahl venezolanischer Asylsuchender in Sachsen so hoch ist wie nie zuvor, fällt ihre Schutzquote im Asylverfahren auf historische Tiefststände. Dass der Freistaat seit 2023 wieder Abschiebungen nach Venezuela durchführt und damit vor der Landtagswahl Entschlossenheit demonstrieren will, verunsichert die hier lebende Exilcommunity zusätzlich.”


Blühendes Geschäft mit dem Leid der Geflüchteten

In zwei Pressemitteilungen haben wir die Übernahme der European Homecare GmbH, die auch in Sachsen zahlreiche Unterkünfte betreibt, durch die Serco-Group sowie die Zustände in den Asylunterkünften thematisiert: “Viele Menschen haben uns auf verschiedenen Wegen ihren Unmut über dieses Geschäftsmodell mitgeteilt. Das ist ein Zeichen dafür, dass es nach wie vor Viele gibt, die nicht damit einverstanden sind, dass Geflüchtete entmenschlicht und zur Ware gemacht werden. Um die Missstände noch stärker in die Öffentlichkeit zu tragen und eine Verbesserung der Lebensumstände zu erreichen, rufen wir die Zivilgesellschaft auf, sich für eine menschenwürdige Unterbringung von Geflüchteten einzusetzen.”


Wie sind die Bedingungen in den Unterkünften?

Gemeinsam mit der Seebrücke Dresden arbeiten wir an einer nachhaltigen Broschüre über die Zustände in sächsischen Geflüchtetenunterkünften. Du lebst oder hast in einer Unterkunft gelebt? Arbeitest du oder hast du gearbeitet in einer Unterkunft? Hast du (fachliches/anderes) Wissen darüber, wie die Zustände in den Unterkünften sind und wie sie sein sollten? Lass uns Kontakt aufnehmen: pr@sfrev.de


Große Resonanz auf Start des Projektes “EDA”

Im letzten Jahr startete unser Projekt “EDA”, dessen Abkürzung auch verrät, worauf dieses abzielt: geflüchtete Frauen durch gezielte Maßnahmen in den Bereichen Empowerment, Digitalisierung und Arbeitsmarktintegration zu stärken. Im Januar begannen die ersten Schulungen in Chemnitz und diese erhielten eine enorm positive Resonanz, was den großen Bedarf an Unterstützung für geflüchtete Frauen unterstreicht.


Neuer Erlass zur Wohnsitzauflage: Bundesgesetz gilt nun auch in Sachsen

Seit Jahren verhindert restriktive Behördenpraxis in Sachsen, dass Menschen im Asylverfahren überhaupt zum Arbeitsort umziehen dürfen. Endlich hat das Sächsische Staatsministerium des Innern (SMI) einen Erlass veröffentlicht, der klarstellt, wann ein Rechtsanspruch gegeben ist. Dabei werden aber weitere rechtlichen Spielräume verpasst, die die Erwerbsmobilität Asylsuchender deutlich steigern hätten können. Wir haben das Thema in einer Pressemitteilung aufgegriffen.


Xelas! Edi bes e! ¡Basta ya! Artık yeter! Enough! Es reicht!

Der Februar war auch der Monat vieler Demonstrationen gegen rechte Hetze und faschistoide Pläne. An einigen dieser Demonstrationen sowie an den Gedenkkundgebungen zum rassistischen Anschlag in Hanau haben wir uns mit Redebeiträgen beteiligt: “Liebe geflüchtete*r Freund*in, lass dich von all diesen Ereignissen nicht unterkriegen! Du bist nicht allein! Es gibt Menschen, die deine Wut und deine Angst verstehen. Lass uns unsere berechtigten Gefühle und Forderungen gemeinsam politisieren. Lass uns die Angst überwinden und eine gemeinsame Stärke aufbauen, die Hoffnung macht. Es ist unsere Aufgabe, uns zu schützen und für eine gerechte Welt einzutreten, in der niemand unterdrückt wird. Xelas! Edi bes e! ¡Basta ya! Artık yeter! Enough! Es reicht!”


Veranstaltungshinweise

WORKSHOP (CHEMNITZ)
Umgang mit eigenen Kräften

EFFEKT! ist ein Projekt von IRC Deutschland und richtet sich an Ehrenamtliche in der Arbeit mit geflüchteten Menschen. In einem interaktiven Workshop wird euch ein Raum geboten, um in den Austausch mit anderen Ehrenamtlichen zu treten, Erfahrungen und Wissen über eigene Kräfte und Grenzen zu teilen. Zusätzlich wird euer Engagement durch fundiertes Wissen und praxisnahe Methoden bereichert. Getränke und Snacks wird es auch geben. Wir freuen uns schon auf euch!

🧭 WANN: 05.03.2024, um 17:00 – 19:30 Uhr
📌 WO: Haus der Kulturen (Karl-Liebknecht-Str. 15-17, 09111 Chemnitz)

Anmeldung per Email an: almaraz@sfrev.de oder per WhatsApp: 015224955808


AUSSTELLUNGSERÖFFNUNG/VORTRAG (DRESDEN)

Salon für den Erhalt der Menschenrechte – Abstraktion Abbau Aktivismus
mit Jochen Stankowski (Künstler) und Osman Oğuz (Sächischer Flüchtlingsrat e.V.), Moderation: Susanne Gärtner

Wer beschützt die Menschenrechte? Was können wir tun, um die Würde eines jeden einzelnen unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Geschlecht und Gesundheitszustand als Gesellschaft nicht in Frage zu stellen? Wie konnte es dazu kommen, dass die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte die 1948 verabschiedet wurde zunehmend ihre Gültigkeit verliert? Wir nähern uns dem Thema und laden herzlich ein zum Zuhören, gemeinsam nachdenken, und sich gegenseitig ermutigen dranzubleiben – besonders in Zeiten wie diesen.

Unser Dreischritt: 1 Abstraktion – Der Künstler Jochen Stankowski führt durch die Charta der Menschenrechte – 30 Artikel in 30 abstrakten visuelle Interpretationen. 2 Abbau – Osman Oğuz arbeitet beim Sächsischen Flüchtlingsrat. Die Asylgesetzgebung in Deutschland und der EU wurde in den letzten Jahren immer weiter verschärft. Davon berichtet er. 3 Aktivismus – Dennoch, es gibt sie: jede Menge Initiativen, die sich einsetzen gegen soziale Ungleichheit, Gruppenspezifische Menschenfeindlichkeit, Klimagerechtigkeit: Wir stellen uns gegenseitig unsere Lieblingsinitiativen vor! Feiern uns und die anderen.

🧭 WANN: 06.03.24, um 19:30 Uhr
📌 WO: Runde Ecke, Wachsbleichstraße 4a, 01067 Dresden (Zugang über Hof)


Drei Stimmen aus der Presse

  • Das Gegenteil von Verbesserungen: Das neue Rückführungsgesetz verschlimmert die Lage – ProAsyl
    Der Bundestag hat das sogenannte Rückführungsverbesserungsgesetz beschlossen, mit dem Ausweisungen, Abschiebungen, Abschiebungshaft und Ausreisegewahrsam drastisch verschärft werden. Jetzt ist es in Kraft.

  • Bekenntnis zur Solidarität – medico-Rundschreiben
    Es sollte deutlich werden, dass Migration mit gesellschaftlichen Herausforderungen verbunden ist, denen wir uns demokratisch stellen müssen. Der Rechtsruck ist viel breiter und lässt sich nicht nur auf die AfD begrenzen. Die Folgen sind enorm und führen alle in die Defensive.

  • Angriffe auf Flüchtlinge häufen sich – Süddeutsche Zeitung
    In Deutschland werden immer mehr geflohene Menschen zum Opfer von politisch motivierten Angriffen. Die Polizei registrierte laut Bundesinnenministerium im vergangenen Jahr 2378 solcher Fälle und damit fast doppelt so viele wie im Vorjahr.
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