Seit Jahren verhindert restriktive Behördenpraxis in Sachsen, dass Menschen im Asylverfahren überhaupt zum Arbeitsort umziehen dürfen. Endlich hat das Sächsische Staatsministerium des Innern (SMI) einen Erlass veröffentlicht, der klarstellt, wann ein Rechtsanspruch gegeben ist. Dabei werden aber weitere rechtlichen Spielräume verpasst, die die Erwerbsmobilität Asylsuchender deutlich steigern hätten können.
Zunächst müssen die positiven Aspekte des neuen Erlasses festgehalten werden: „Das Ministerium stellt endlich klar, dass Asylsuchende das Recht auf freie Wohnsitznahme haben, wenn sie ihre Lebenskosten über Arbeit nachhaltig sichern können. Das ist schon ein Fortschritt, weil die Landesdirektion dies zuvor in vielen Fällen verhindert hat. Der Erlass bestätigt aber lediglich eine etablierte Rechtsauffassung, die in den meisten Bundesländern längst angewendet wird.“ erklärt Dr. Kristian Garthus-Niegel, Projektkoordinator von RESQUE forward.
Wohnsitzauflagen verhindern Arbeitsmarktintegration
Hauptproblem der Wohnsitzauflage bleibt, dass man über Arbeit erst von dieser befreit wird, wenn die Probezeit überstanden ist. Zahlreiche Beispiele der letzten Jahre zeigen wie dies zu erheblichen Kosten für das Pendeln oder durch doppelt fällige Mietzahlungen führt. Die Probezeit ist aber nicht die einzige Hürde: der Arbeitsvertag muss außerdem mindestens ein Jahr befristet und ausreichend entlohnt sein, um alle Lebenskosten zu decken. Dafür wären zum Beispiel Ausbildungsstellen in der Regel zu schlecht bezahlt. Zuletzt hat die Regelung auch noch den Nachteil, dass man wieder zurück zum vorherigen Wohnort ziehen muss, wenn man nach Aufhebung der Wohnsitzauflage den Job verliert.
„Anstatt Asylsuchende zu honorieren, die sich erfolgreich Arbeit suchen, machen die hohen Hürden der Wohnsitzauflage in der Regel diese Leistung wieder zunichte.“ kritisiert Garthus-Niegel. Dies schadet in erster Linie den Betroffenen, dann den Betrieben und sorgt zuletzt noch für finanzielle Belastungen der Kommunen: „Je schwerer es Asylsuchende haben für Arbeit umzuziehen, je länger bleiben sie in Abhängigkeit von Sozialleistungen gefangen. Der nächste Folgeschaden: Die tatsächlichen Wünsche, Bedarfe und Ressourcen Geflüchteter werden in der öffentlichen Wahrnehmung verleumdet.“, erklärt Garthus-Niegel. Er erinnert an eine IAB-Studie, die feststellte, dass unter 93 % der ukrainischen Geflüchteten ein Wunsch nach Arbeit besteht.
Neben der Aufrechterhaltung vorhandener Arbeitsmotivation bei Schutzsuchenden, sollte Recht auf Arbeit auch als Teil der Menschenwürde verstanden werden. In Niedersachsen wurde dies begriffen und das dortige Innenministerium hatte zuletzt in einem Erlass Behörden darum gebeten, die Wohnsitzauflage immer aufzulösen, wo diese den Zugang zu Arbeit oder Ausbildung unnötig blockiert. „Auch das Verwaltungsgericht in Chemnitz hat in 2022 geurteilt, dass die Möglichkeit, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, letztlich ein Ausdruck der Menschenwürde ist. Warum das SMI bewusst diese Möglichkeit im Erlass auslässt, bleibt ein Rätsel.“, so Garthus-Niegel.
Restriktive Reflexe im Freistaat sind längst nicht mehr zeitgemäß
Trotz des offenkundigen Fach- und Arbeitskräftemangels: Bei der Erwerbsmobilität Asylsuchender setzt das SMI im altbekannten Stil auf möglichst restriktive Reflexe. Dabei warnen Ministerpräsident Kretschmer (CDU) und Arbeitsminister Dulig (SPD) immer wieder davor, dass Sachsen im Jahr 2030 bis zu 200.000 Arbeitskräfte fehlen werden. „Gerade bei Geflüchteten beobachten wir aber, dass sie bei Gelegenheit eher nach Beschäftigung in anderen Bundesländern suchen, weil die Hürden und Widerstände in Sachsen so groß sind. Auch wenn sich immer mehr sächsische Betriebe für Schutzsuchende öffnen: Solange Ministerpräsident Kretschmer wiederholt Asylrechtsverschärfungen oder Innenminister Schuster Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan fordert, werden Geflüchtete in Sachsen kaum mehr Perspektiven spüren können.“, sagt Dave Schmidtke, Pressesprecher des Flüchtlingsrates.
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