PM: Die Asylpolitik der Ampelkoalition: Entrechtung und Entmenschlichung im Streben nach Realismus?

Dresden, 30.11.23

Kürzungen von Sozialleistungen, mehr und leichtere Abschiebungen, dichtere Grenzen und offener Rassismus, begleitet von kulturalisierten Scheinargumenten… Das Ziel, „illegale Migration“ einzudämmen und die EU gegen Geflüchtete abzuschotten, führt zu immer autoritäreren Maßnahmen und Diskursen. Die Geflüchteten sind immer mehr Entrechtungen und Anfeindungen ausgesetzt – auch durch Regierungsakteur*innen.

Der Beitrag der Tagesschau zur Debatte um Fluchtmigration bei den Grünen trägt den Titel „Zwischen Menschlichkeit und Machbarkeit„. Der stellvertretende Parteivorsitzende Robert Habeck erklärt der Presse immer wieder, wie sie in Regierungsverantwortung zu lernen hätten, „moralisch schwierige Entscheidungen“ zu treffen und zu akzeptieren, „dass Menschen, die kein Recht auf Asyl haben, letztlich abgeschoben werden müssen“.

Die regierenden Politiker*innen der SPD präsentieren das Gesetz zu erleichterten Abschiebungen und der Bundesminister spricht von „Abschiebungen im großen Stil“. Saskia Esken, Co-Vorsitzende der SPD, berichtet stolz in der meistgesehenen Talkshow des Landes über die steigenden Abschiebezahlen unter ihrer Regierung. Lars Klingbeil, der andere Co-Vorsitzende der Partei, kündigt an, dass er die Auslagerung von Asylverfahren in andere Länder für einen „gangbaren Weg“ hält – um der Sachlichkeit und des Pragmatismus willen, wie er sagt.

Der kleinste Teil der Ampelkoalition, die FDP, behauptet, dass die Leistungen für Asylbewerber*innen einen „Pull-Faktor“ darstellen. Die beiden Minister der Partei, Christian Lindner und Marcus Buschmann, schreiben wörtlich: „Unter besonders engen Voraussetzungen wäre sogar eine Absenkung von Leistungen quasi auf null denkbar“. In der Realität von Menschen, die vor Bomben, Unterdrückung, verschärfter Ausbeutung oder Naturkatastrophen fliehen, spielt die Höhe und Art der Sozialleistungen jedoch keine Rolle – diese Menschen suchen legitim Schutz.

Parteien sprechen immer öfter von illegaler (oder irregulärer) Migration, die es einzudämmen oder gar zu bekämpfen gelte. Dazu werden täglich Vorschläge oder konkrete Regelungen zur Verschärfung der Grenzkontrollen, zur Ausweitung der „sicheren Drittstaaten“ auf Krisenländer oder zur restriktiven Sozialpolitik als Abschreckungsmanöver eingebracht.

Nichtregierungsparteien wie die Union (CDU/CSU) oder die AfD unterstützen diese Entwicklung hin zu einer immer repressiveren Abschottungspolitik nicht nur, sondern bringen Vorschläge für noch schärfere Maßnahmen ein. Dabei werden zunehmend kulturalisierte Scheinargumente verbreitet, mit denen versucht wird, Abschiebungen oder Push-Backs von Menschen mit deren vermeintlichen Rückständigkeiten zu legitimieren. Dies hat zur Folge, dass flüchtlingsfeindliche Einstellungen auch in der (Mitte der) Gesellschaft immer mehr Zulauf erhalten und für neue Dimensionen der Normalisierung von Rassismus sorgen.

Sachsen profiliert sich in diesen Tagen erneut als Hochburg flüchtlingsfeindlicher Einstellungen. Die regierende CDU wird immer offener restriktiv gegenüber der Fluchtmigration. Ministerpräsident Michael Kretschmer fallen als „Lösung“ nur drei Schritte ein: „Sozialleistungen für Asylbewerber deutlich kürzen, Familiennachzug einschränken, an den Außengrenzen kontrollieren“. Was er beginnt, übernimmt irgendwann die offen rassistische „Freie Sachsen“, unterstützt von organisierten Neonazis und der AfD, und betreibt an vielen Orten in Sachsen Hetze zur Vertreibung von Geflüchteten.

Osman Oğuz vom Sächsischen Flüchtlingsrat sieht in diesen Entwicklungen eine enorme Gefahr insbesondere für Geflüchtete, aber auch für die gesamte Gesellschaft: „Den führenden Politiker*innen und ihren Parteien mag es egal sein, dass durch ihren vermeintlichen Realismus und Pragmatismus jede Entrechtung und Entmenschlichung an Legitimität gewinnt und selbst das größte Leid unter dem Gerede von der Notwendigkeit unsichtbar wird, aber als Gesellschaft müssen wir uns laut fragen, wohin uns diese Entwicklung führt.“

Oğuz weist auf die Wortwahl in den Debatten hin und fährt fort: „Realismus bedeutet, die Herausforderungen an der Wurzel zu packen und echte Lösungen zu suchen, anstatt sie zu verdrängen. Was bedeutet es, wenn die Grünen eine Achse zwischen Menschlichkeit und Machbarkeit ziehen? ‘Was machbar ist, ist nicht immer menschlich, das müssen wir akzeptieren’ sagen sie übersetzt. Applaus wird erwartet, weil sie sich dafür einsetzen, dass abzuschiebende Kinder Zeit haben, sich von ihren Schulfreund*innen zu verabschieden. Wer diesen Diskurs akzeptiert, akzeptiert den Realitätsverlust. Worauf können wir uns dann noch verlassen, wenn die Realität der Menschen immer weniger zählt?”

“Sowohl für die Bekämpfung der Fluchtursachen als auch für die Bewältigung der Aufnahmeschwierigkeiten gibt es zahlreiche Ansätze. Die Auseinandersetzung mit diesen Ansätzen verspricht keine Erleichterung der Debatten, im Gegenteil: Wir müssen uns von vereinfachten und verkürzten Antworten verabschieden. Abschottung in einer globalen Situation, die in vielerlei Hinsicht auch von Deutschland ausgeht und unser Leben hier betrifft, ist zunehmend nur noch unter den Bedingungen einer autoritären Zuspitzung möglich, mit der wir es in vielen Partnerländern Deutschlands bereits zu tun haben”, so Oğuz.

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