Frohes neues Jahr: Ein Appell aneinander – ein Appell an die Hoffnung!

Dresden, 27.12.23

Liebe Newsletter-Abonnent*innen,

welch ein Jahr neigt sich dem Ende zu – fast hätte man Lust zu rufen: Hau ab, 2023! Das Problem ist nur: Was uns 2024 erwartet, wissen wir nicht.

Doch ein Gedicht, das der geflüchtete Dichter Nazım Hikmet in dunkler Zeit schrieb, ist voller Zuversicht und flüstert auch uns heute die Hoffnung auf ein unbeschwertes Miteinander im Blauen ins Ohr:

Wir werden schöne Tage erleben, Kinder,
sonnige Tage
         werden wir
                    erleben.
Die Boote werden wir ins Blaue fahren, Kinder,
ins leuchtende Blau
        werden wir fahren.

Wir dürfen die Hoffnung nicht aufgeben – erst recht nicht, wenn wir den Anspruch erheben, das Leben zu verteidigen. Denn wozu leben wir, wenn wir keine Hoffnung haben? Auch wenn „unsere Hoffnung heute die Krise ist“, wie Bertolt Brecht, ein anderer Geflüchteter seiner Zeit, einmal sagte.

Hoffnung ist, was uns verbindet – Hoffnung ist, was uns zum Guten motiviert. Sie ist allerdings kein naiver Glaube – sie bedingt und braucht Arbeit. Wer nichts tut, hat keine Hoffnung – wer niemanden hat, hat auch keine Hoffnung. „Die Hoffnung liegt im Menschen allein“, sagte noch Nazım Hikmet. Wo das Leben der Menschen ignoriert oder gar verachtet wird, kann es keine Hoffnung geben – genau das ist der Weg in die Finsternis. Aber leben wir nicht in einer Welt, in der genau das an vielen Orten zu beobachten ist? Nicht, dass das mehr der Fall wäre als -sagen wir- vor 100 Jahren, aber es gibt einen auffälligen Unterschied: Jede*r, die*der zwei Augen und zwei Ohren hat, ist mit dem Verfall der Menschlichkeit in höchstem Maße konfrontiert, und immer unausweichlicher wird die Antwort auf die Frage: Wie stehst du dazu? Wir wissen viel mehr voneinander, und wir beeinflussen das Leben des anderen viel stärker. Plötzlich kann auf irgendeinem Bildschirm eine unerträgliche Szene (z.B. von den Außengrenzen) auftauchen, vor der viele von uns fast abstumpfen, und schlimmer noch: Leider, leider, leider gibt es immer mehr Menschen, die sich der monströsen Tat anschließen – in dieser Welt der wachsenden Ungleichheiten wird es immer schwieriger, sich mit den Leidenden zu identifizieren. Wenn es aber keine Hoffnung gibt, ist die*der Leidende nicht nur zur Sprachlosigkeit verdammt, sondern auch zu einer Art Nihilismus, einer trostlosen Wut.

Was bedeutet es unter diesen Umständen, dass die Hoffnung allein im Menschen liegt? Wie kann man denn in einem anderen Menschen Hoffnung sehen?

Die Hoffnung liegt nicht darin, die Augen zu verschließen und sich im Eigenen zu verkriechen, sondern im Gegenteil: hinzuschauen, zu erkennen und anzusprechen – sonst werden wir alle von dem epidemischen Bösen eingeholt. Wir, die wir einander zuhören, sehen dieselben Widersprüche in dieser Welt und sind damit nicht einverstanden. Wir, die wir einander verstehen, sind Hoffnung füreinander. Solange wir nicht aufhören zu reden, gibt es Hoffnung – wenn wir schweigen, wird es dunkel.

***

Als Öffentlichkeitsarbeit des Sächsischen Flüchtlingsrates ist es unsere Aufgabe, das Wort zu ergreifen. Das ist nicht immer einfach, denn dazu gehört auch, hinzuschauen – auch in Zeiten großer Katastrophen. Fluchtbewegungen sind eine Schnittstelle wachsender Missstände: Verarmung, Kriege, Ausbeutung, Klimakatastrophe, autoritäre Zuspitzung, Entrechtung, Entmenschlichung sind nur einige wichtige Stichworte unserer Arbeit. Im Rahmen unserer Möglichkeiten versuchen wir, eine Stimme der Geflüchteten aufzubauen, die sich von dieser Schnittstelle aus an die sächsische Öffentlichkeit wendet, die einer massiven Bedrohung durch rechte, menschenverachtende, rassistische Kräfte ausgesetzt ist.

In letzter Zeit habt ihr von uns viele düstere Nachrichten, wütende Worte und realistische, aber zwangsläufig etwas trostlose Beschreibungen der aktuellen Ereignisse gehört. Auf der einen Seite gab es sowohl in Deutschland als auch auf europäischer Ebene zahlreiche unsägliche Verschärfungen des Asylrechts, auf der anderen Seite eine zunehmende Entmenschlichung und Feindlichkeit gegenüber Geflüchteten. Zudem haben wir durch die Novellierung der Richtlinie „Integrative Maßnahmen“ des Sächsischen Sozialministeriums vorerst zwei wichtige Projekte verloren – sie boten vielen Geflüchteten existenzielle Unterstützung und vielen Kolleg*innen ihre geliebten Arbeitsplätze. Aber es gab auch hoffnungsvolle Momente: Etwa als sich in Dresden tausende Menschen den flüchtlingsfeindlichen Demonstrationen entgegenstellten oder durch unsere Arbeit verhinderte Abschiebungen.

Nun stehen wir vor einem Jahr wichtiger Wahlen: Kommunal- und Landtagswahlen in Sachsen. Es ist davon auszugehen, dass sich die politische und gesellschaftliche Stimmung weiter aufheizen wird – diejenigen, die an vielen Orten immer wieder versuchen, gegen Geflüchtete zu hetzen, werden damit nicht aufhören. Doch nicht nur die Feinde der Demokratie sind motiviert: Auch auf unserer Seite spüren wir eine aufkeimende Energie – ja, eine Hoffnung. Darauf müssen und werden wir setzen und alles geben, damit 2024 das Jahr des wachsenden Widerstands wird – für eine gerechte Welt für ALLE!

Wenn du die Arbeit unseres Vereins unterstützen möchtest und ein paar Euro übrig hast, ist jetzt der richtige Zeitpunkt: Über diesen Link kannst du spenden.

Nachfolgend eine Auswahl unserer Veröffentlichungen in diesem Jahr.

Wir wünschen ein frohes neues Jahr!

… und egal, wie du das neue Jahr empfängst, ob tanzend oder schreiend, denk daran: Eine andere Welt ist möglich – und bitter nötig!

 

  • 21. Dezember: Offener Brief zur Situation Gehörloser Geflüchteter
  • 19. Dezember: Fehlende Finanzierung von ACT und QuBe³: Wichtigen Projekten droht vorerst das Aus
  • 30. November: Die Asylpolitik der Ampelkoalition: Entrechtung und Entmenschlichung im Streben nach Realismus?
  • 29. November: 18-Jähriger soll ohne Familie in den Irak: Versuchte Familientrennung bei Abschiebung aus Freiberg
  • 9. November: Arbeitsverbote aufheben und somit Behörden entlasten!
  • 7. November: Unser Redebeitrag: Irregulär sind eure Bomben und eure Ausbeutung in unseren Ländern!
  • 19. Oktober: Bericht: Lesung zur Ausstellung „Aus Chemnitz: Ein Klavier“
  • 12. Oktober: Debatte über Arbeitspflicht, Abschiebungen und Bezahlkarten für Flüchtlinge stärkt rechte Diskurse
  • 29. September: Ein Lage(r)bericht der Geflüchteten: Epidemie der Entrechtung
  • 26. September: Schwerkranke Minderjährige aus Mittweida abgeschoben – Antrag auf Aufenthalt wurde nie beschieden
  • 31. August: Verstärkte Grenzkontrollen gefährden Menschenleben – an und innerhalb der Grenzen!
  • 29. August: Integration und Teilhabe für alle: Das sächsische Integrations- und Teilhabegesetz muss gleichberechtigte Möglichkeiten für alle Menschen mit Migrationsgeschichte schaffen.
  • Newsletter 06/23: Abschiebungen ohne Vorankündigung / Sächsische Polizei unter Verdacht / Wahnsinnige Kürzungen / Grenzkontrollen in Sachsen / Landrat von Bautzen / Neonazi-Demo in Sebnitz / Flucht vor geschlechtsspezifischer Gewalt
  • 22. August: Landrat von Bautzen schürt Feindbild “Geflüchtete” – Unsere Stellungnahme
  • 15. August: Eindrücke aus Sebnitz: “Abi*, die Verrückten sind aus der Anstalt ausgebrochen!”
  • 7. August: Türkei: Das Land der unglücklichen Kinder
  • Newsletter 05/2023: 5.889 Asylsuchende in Sachsen / Fachkräfteeinwanderungsgesetz / EU-Tunesien-Deal / Handschlag oder Handschellen? / Asylinitiativen-Konferenz
  • 26. Juli: Rassistischer Angriff auf Geflüchtete im Wohnheim in Sebnitz: Kein Einzelfall, sondern eine Spiegelung gefährlicher Entwicklungen
  • 19. Juli: Minderjähriger wird zum Spielball zwischen Jugendhilfe- und Erstaufnahmeeinrichtung
  • Newsletter 04/2023: 110 Millionen Menschen auf der Flucht / Abschiebeversuch Venezuela / Familie Pham/Nguyen
  • 27. Juni: Unsichere Perspektive: Familie Pham/Nguyen verlässt Sachsen
  • 4. Juli: Arbeitszugang nein, Sozialkosten ja! Strenge Handhabe bei Wohnsitzauflage im Freistaat
  • 22. Juni: Hoyerswerda: Abschiebung von Erkranktem aus dem Gesundheitsamt nach Pakistan
  • 12. Juni: Trotz Machtkampf, Taliban und Verfolgung von Minderheiten: Morgige Abschiebung von Sachsen nach Pakistan
  • 12. Juni: Ampel untergräbt Recht auf Asyl um jeden Preis
  • 1. Juni: Abschiebeversuch von schwangerer Frau nach Venezuela – Partner und Vater des Kindes ist EU-Bürger
  • 29. April: Armut und Migration wegen einer goldenen Ressource: Venezuela
  • 19. April: Unternehmen und Berufsverbände fordern: Migration als Chance begreifen – Auch für Sachsens Arbeitsmarkt
  • Newsletter 03/23: Aktuelle Zahlen zu Asyl | Abschiebung Russischer Dissident | Rekord-Schutzquote in 2022 | LSVD bilanziert Reform
  • 30. März: Hinter den EU-Pushbacks: eine Tendenz, Menschen als politisches Instrument auszunutzen
  • 20. März: Über 40 sächsische Organisationen mit Positionspapier: „Solidarität in der Migrationsgesellschaft“
  • 8. März: Feminista Leipzig: Ich bin erst frei, wenn wir alle frei sind!
  • 27. Februar: Fluchtursachen der Hauptherkunftsländer: Hinter dem Leid der Syrer*innen
  • 13. Februar: Nach Ablehnung der Härtefallkommission: Kampf ums Bleiberecht für Familie Pham/Ngyuen
  • Newsletter 02/23: EU-Migrationsgipfel/Fall Mohammad K./Update zu Chancen-Aufenthalt/Unterbringung Sachsen
  • 9. Februar: Abschiebung aus Chemnitz in die Diktatur Venezuelas
  • 3. Februar: Bad Düben: Erneut Polizeigewalt und Familientrennung bei Abschiebung nach Georgien
  • 31. Januar: Bedrohung durch Abschiebungen in Sachsen wächst – auch Person aus Venezuela betroffen
  • Newsletter 01/23: Asylzahlen 2022/Hetze gegen Unterbringung/Chancen-Aufenthalt/Debatte Silvesternacht

 

Teile diesen Beitrag: